Und der Engel des Herrn trat zu ihnen

„Wir freuen uns – es ist Advent“

Der Engel mit dem Olivenzweig, er hört und sieht. Er sieht die, die vor lauter Glanz nichts mehr sehen und vor lauter Stimmen nichts mehr hören. Seine Augen ruhen auf allen, die die Stimme des eigenen Herzen nicht mehr hören können und die  Signale des Körpers übersehen, bis sie zusammenbrechen und oft noch darüber hinaus.

Der Engel mit dem Ölzweig ist der Engel der Beständigkeit. Er steht fest durch die Zeiten hindurch und bietet sich geduldig unseren Blicken dar. Er hat Zeit. Er kann warten, bis wir bereit sind, seiner gewahr zu werden.

In seiner rechten Hand trägt er den Ölzweig als Zeichen der Sesshaftigkeit. Der Zweig ist Teil seiner Botschaft. Zart und aufrecht wird er ins Bild gebracht. Bleiben können, verweilen können, ist Gnade. „Du musst nicht ständig unterwegs sein und nirgends richtig anwesend“, diese Kunde bringt der Engel. Gott will auf Erden, will im Menschen wohnen, sesshaft sein, bleiben und so den Menschen mit sich selbst versöhnen. 

Fürchteten die Hirten sich deshalb so, als er zu ihnen trat, weil sie um ihre Geschäftigkeit bangten, mit der sie die Leere und Angst vor der Leere zu verdecken suchten. Was sind wir noch, wenn wir nicht mehr unterwegs sind, mobil sind, überall und nirgends? 

Doch einmal wahrgenommen, wandert der Blick immer wieder zu ihm und seinem Zweig. Es braucht Zeit, so still zu werden und still zu stehen. Je länger ich bei ihm  verweile, um so mehr spüre ich, wie Ruhe in mir aufkeimt. Meine Augen kommen zur Ruhe, nach und nach auch meine Ohren und Hände. Meine linke Hand liegt, wie die seine, am Herzen.  

Im Schauen auf ihn und sein Schauen, verblassen allmählich die Eindrücke die mich sonst bannen. Wie schön: „Ein Bild, dass noch nicht laufen gelernt hat!“

Wie wohltuend: „Einer, der nicht davonläuft,  einer, der all meine Unrast und all meine Befürchtungen aushält.“

Voller Liebe blickt er auf alle und alles, was sich seinem Blick darbietet. Seine Lippen sind geschlossen. Was er uns mitzuteilen hat kündet er schweigend: „Gott möchte in dir ankommen und aus dir zur Welt kommen.“ Und ich antworte still: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“

Pfarrerin Ute Schollmeyer

zum 2. Advent

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe. Ps. 24.

Maria steht zwischen Tür und Angel, zwischen drinnen und draußen, zwischen gestern und heute. Sie ist umgeben von einer Fülle möglicher Einsichten und Durchblicke. Sie wendet all dem den Rücken und sich zu dem vor ihr knieenden und segnenden Boten hin. Sie ist zugewandt und dennoch verhalten, schaut weder zu dem Engel, noch richtet sie den Blick nach außen auf den Betrachter. Sie rennt ihm nicht entgegen und reißt nicht die Arme hoch.

Maria ist in sich gekehrt und blickt auf den Boden. Sie ist Inbegriff des demütigen Menschen. Human kommt von Humus – Erde. Die zukünftige Mutter Gottes bringt das Göttliche zur Welt, weil sie sich abwendet von weltlicher Zerstreuung und zugleich hinwendet zur Erde, von der sie genommen wurde.

Ihre Haltung signalisiert Einkehr. Damit macht sie sich empfangsbereit für das Göttliche, das aus Gottes Hand in Gestalt einer Taube vom Himmel herniederschwebt.
Das Bild von Francesco del Cossa von 1470/72 ist eine Art umgekehrter Adventskalender mit verschiedenen Türen und Fenstern, die nicht zu öffnen sind. Ihre Betrachtung kann uns lehren, in der Einkehr Umkehr zu finden.

Ein Sprichwort lautet: „Wo Gott dir eine Tür zuschlägt, öffnet er dir ein Fenster.“ Vielleicht gilt auch umgekehrt, um für IHN die Türen und Tore zu öffnen, ist es nötig auch Fenster zu schließen. Sich zurückzuziehen, das Alleinsein zu suchen. Nicht überall zu sein und alles und noch mehr gleichzeitig zu tun. Advent ist Fastenzeit, Zeit leer zu werden und Dinge sein zulassen.

22 Adventslieder gibt es in unserem Gesangbuch.
An jedem Tag der Adventszeit im stillen Kämmerlein bei einer Kerze eines zu singen oder zu lesen ist ein guter Weg bereit zu werden für das Kommen des Christuskindes in unsere Menschenwelt.
„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit; es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich, der Heil und Leben mit sich bringt, derhalben jauchzt, mit Freuden singt: gelobet sei mein Gott, mein Schöpfer reich von Rat.“ Dies ist der Anfang des Reigens, der in den Kanon mündet: „Nun sei uns willkommen, Herre Christ, der du unser aller Herre bist, willkommen auf Erden.“

Eine gesegnete Adventszeit wünscht Ihnen Ihre Pfarrerin Ute Schollmeyer

Herbst

So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. (Eph. 2, 19)

Ein abgemähtes Feld. Ein Meer aus Stoppeln. Über allem wölbt sich ein ungeteilter Himmel.Im Glaubensbekenntnis sprechen wir jeden Sonntag: „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen.“ Und bei der inneren Hinwendung zum Abendmahl beten wir: „Lass uns alle in diesem Mahl ein Leib werden in Jesus Christus, in dem wir uns einander schenken und hingeben.“

Im Angesicht der vergoldeten Stoppeln kam mir dies in den Sinn. Gemeinschaft der Heiligen – eine Gemeinschaft, die entsteht und deren Heiligkeit gedeiht aus der Hingabe des eigenen Wesens an das Leben. Jedes Weizenkorn birgt in sich die Möglichkeit Same zu werden, oder Speise. Doch die Entfaltung dieser Möglichkeit kann nur geschehen, wenn das Korn geschnitten und wieder ausgesät oder zu Mehl gemahlen wird. Die Halme landen als Einstreu im Stall.

Gemeinschaft, die sich baut aus der Bereitschaft miteinander, nebeneinander zu wachsen, zu reifen, Frucht zu tragen. Es bleiben Spuren der Erntefahrzeuge. Schatten auch, von der abendlichen Sommersonne geworfen.

Der Gedanke der Heiligkeit im Christentum braucht keine makellosen Einzelwesen und der Gedanke der Gemeinschaft beinhaltet nicht hundertprozentige Übereinstimmung aller in allen Dingen des Lebens. Geheiligt wird der Einzelne durch seine Bereitschaft vor Gott und neben dem andern zu sein und zu bleiben, ihn gelten zu lassen und mit ihm zu teilen das Brot und den Wein, in denen Christus sich verschwendet an die Welt.

Ich muss nicht fürchten, in der Menge unterzugehen, nicht großartig genug zu sein. Ich kann an den Tisch des Herrn treten und dankbar teilhaben am Leben, mich freuen, neben dieser oder jenem zu stehen, in der Gewissheit, eine Stoppel auf Gottes Acker zu sein, die Frucht getragen hat und einzutauchen in ein neues Leben, wenn der große Pflug kommt.

Herzlichen Gruß Ihre Pfarrerin Ute Schollmeyer